Werk und Bedeutung
Der Grafiker und Maler Willy Thaler (1899-1981) gehört zu den bedeutendsten Vertretern des Spätexpressionismus in der Ostschweiz. Im Mittelpunkt seines Schaffens stand zeitlebens die intensive Auseinandersetzung mit dem Medium des Holzschnittes. Gemälde und zahlreiche Aquarelle vervollständigen das umfangreiche Gesamtwerk. Heute zählt Willy Thaler zu den fast vergessenen Künstlern der Moderne des 20. Jahrhunderts.
Ausgehend von Werken von Käthe Kollwitz, Felix Vallotton und Frans Masareel, die ihn zutiefst beeindruckten, schuf Thaler bereits zu Beginn seiner künstlerischen Laufbahn um 1930 eine Serie von Holzschnitten, die durch ihre kraftvolle Expressivität und markante Gestaltung bis heute beeindrucken. Im Zentrum seiner ausdrucksstarken Holzschneidekunst stehen die Themen Mensch und Natur, verbildlicht in lebhaften Figurenkompositionen und Berglandschaften der Schweizer Alpen. Eine klare und strenge, auf das Wesentliche konzentrierte Bildsprache prägt die expressive Wirkung der Schwarz-Weiß-Drucke. Mit flächigen Vereinfachungen und kühnen Stilisierungen verdichtete Thaler seine Darstellungen zu eindringlicher, zeichenhafter Ästhetik. Kompositorische Schlichtheit und eine derb-naive Formgebung steigern den besonderen Ausdruckswert der Blätter. Vielfach behandelte Thaler das Motivfeld der Arbeit in Industrie und Landwirtschaft und schlug dabei sozialkritische Töne an. Seine häufig szenisch angelegten Figurenbilder offenbaren eine Vorliebe für erzählerische Momente. Hinzu treten Porträts der bäuerlichen Bevölkerung und biblische Sujets. Thalers Berglandschaften beschwören mit hartem Schnittduktus die Erhabenheit und elementare Wucht der gewaltigen Landschaft des Hochgebirges. Im Verlauf des weiteren Schaffens der 1950er bis 1970er Jahre bildeten Reiseeindrücke, vorwiegend aus südlichen Gegenden, den Schwerpunkt der künstlerischen Produktion. In den späten Arbeiten vollzog Thaler mit experimentierfreudigem Gestaltungswillen den Schritt in die Abstraktion.
Thalers Engagement für die Holzschnittkunst ließ ihn 1953 zum Mitbegründer der Gruppe „Xylon" werden, der schweizerischen Sektion der Internationalen Vereinigung von Holzschneidern, mit dem Ziel der Erneuerung des Holzschnitts in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die kunsthistorische Bedeutung von Person und Werk Willy Thalers misst sich vorrangig an den frühen Holzschnitten, mit denen er Ende der Zwanziger Jahre wesentlichen Anteil hatte am Aufbruch der Ostschweiz in die Moderne. Zahlreiche Einzelausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Italien sowie Reproduktionen in Kunstzeitschriften machten seither auf das Werk von Willy Thaler aufmerksam. Thalers Druckgrafiken bezeugen eine ganz eigenständige, unverwechselbare und mit Tendenzen der Neuen Sachlichkeit und des Expressiven Realismus aufgeladene Stilausprägung des Expressionismus in der Schweiz nach dem Ersten Weltkrieg.
Dr. Andreas Gabelmann, Kunsthistoriker